Mit dem Rucksack durch Schottland - die erste Tour

Unendliche Weiten, man fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt. So stellten wir uns Schottland vor. Wir suchten Freiheit und Abenteuer. Das Ziel lautete: Loch Ness. Es begann alles vor vielen Jahren an der Autobahnraststätte Stillhorn, wo unsere Tramptouren als Hitch-Hiker immer ihren Anfang nahmen.

Loch Rannoch

 

Es war der letzte Schultag vor den Sommerferien. Statt ernsthaftem Unterrichts fanden nur noch Fun-Veranstaltungen statt. Unsere Semesterzeugnisse hatten wir per Post an unsere Eltern geschickt (was sicherlich auch besser war!) Ein Mitschüler fuhr uns mit seinem VW Käfer nach Schulende zur Raststätte Stillhorn. Dort hingen erwartungsgemäß -zig andere Tramper herum (Ferienanfang), die alle Richtung Süden mitgenommen werden wollten. Während ich per Daumen versuchte, einen Lift für uns zu ergattern, nutzte Michael K. die Gelegenheit, sich telefonisch von seinen diversen Freundinnen zu verabschieden. Auf dem Rückweg von der Telefonzelle lief er in einen Herren in den Vierzigern, der gerade aus dem Rasthof kam und quatschte ihn auf einen Lift an. Tatsächlich willigte er ein, und somit fuhren wir nach ca. 15 Minuten in einem grauen BMW Richtung Brüssel, die neidvollen Blicke der anderen Tramper, die zum Grossteil seit Stunden auf dem Rasthof standen, im Rücken spürend. Wir hatten das unerhörte Glück, dass wir nach sehr kurzer Wartezeit auf dem Rasthof einen Direktlift nach Brüssel in einem ultraschnellen Pkw bekamen, der auf der gesamten Strecke nur ein einziges Mal (worauf wir sehr stolz waren) überholt wurde, und zwar von einem roten Porsche. Unser Fahrer war Angehöriger der belgischen Armee, wie er uns erzählte.

In Brüssel in Rekordzeit angekommen wurden wir dann von einem stockschwulen Mann mittleren Alters mitgenommen, der uns unbedingt davon überzeugen wollte, ihn in seine Wohnung zu begleiten, bis er dann zwei andere junge männliche Tramper am Straßenrand stehen sah, die in die Gegenrichtung wollten. Nach kurzem Stopp und einigen mit ihnen gewechselten Worten fuhr er mit uns noch einen Kilometer Richtung Ostende weiter, warf uns dann aus seinem Auto und fuhr zurück, um sein Glück bei den Beiden zu suchen. Langsam wurden wir auch müde und eines war klar: wir brauchten dringend etwas Schlaf, doch erst einmal mussten wir die Fähre Calais - Dover erreichen. Die Überfahrt war alles andere als bequem, doch mit einem guten Schlafsack kann man auch auf einem überfüllten Schiff auf dem Boden schlafen. England begrüßte uns ausnahmsweise mit strahlendem Sonnenschein. Überhaupt hatten wir einen Supersommer erwischt. Alle 7 Jahre, so erfuhren wir später, gibt es einen richtig guten Sommer in Schottland. Es ist schon etwas dran an diesem Gerücht....

 

Loch Rannoch

Von Dover aus ging es weiter mit der Bahn. Wir waren froh, nicht durch London trampen zu müssen. Nach ca.1 Stunde kamen wir am frühen Sonnabend morgen in London an um Tante und Onkel meinerseits zu besuchen. Da wir unmöglich zu dieser frühen Stunde schon bei meinen Verwandten auflaufen konnten, hingen wir auf der Straße rum, klauten frisch ausgelieferte Milch und Brötchen, setzten uns auf eine Gartenmauer, die zu einem perfekt gepflegten, typisch englischen Garten gehörte und begannen unsere Beute mit gutem Appetit zu verzehren. Nach wenigen Minuten erschien der Besitzer des Gartens jedoch, um uns freundlich aber durchaus bestimmt zu verscheuchen. Irgendwann gegen 9 Uhr liefen wir dann doch bei meinen Verwandten auf, wurden sehr herzlich empfangen, duschten, frühstückten mit der Familie und ihren Kindern und fuhren dann mit 2 Pkws - einer davon war ein dicker Rover mit 3,5 Liter Maschine - in einen Safaripark nördlich von London. Wir kletterten wie 8 jährige Jungen in riesigen Eichen herum, besuchten einen kleinen Kirmes (merry-go-around) und hatten jede Menge Spaß. Während der folgenden Tage trieben wir uns in London herum, spielten einmal Tennis (das erste Tennisspiel unseres Lebens), entdeckten den Cider und bekamen einen Sonnenbrand, denn das Wetter war unglaublich gut.

 Carlisle

 Die Weiterfahrt hätte ich fast verschlafen und das hatte seinen Grund. Es gibt nämlich in Großbritannien tatsächlich ein Getränk, das wirklich schmeckt: Cider. Es ist eine Art "Äppelwoi", also Apfelsaft mit Selters und etwas Alkohol. Ein herrlich erfrischendes Getränk, doch Vorsicht! Wir hatten uns am Vortag eine ganze Gallone (ca. 4 1/2 Liter) Cider besorgt und wollten vor der Abfahrt die leere Gallone wieder zurückbringen. Tatsächlich gelang es mir, die restlichen 2 Liter vor unser Abfahrt auszutrinken, doch an unsere Weiterfahrt kann ich mich kaum noch erinnern. Meine Verwandte setzte uns an der M1 ab und ich legte mich ins Gras und schlief ein. Michael K. hatte inzwischen ein Auto angehalten, mich geweckt und es ging weiter in Richtung Norden -

 

THE NORTH!

 Loch Rannoch

Reibungslos ging es weiter nach Carlisle. Wir holten unseren Spirituskocher hervor und es gab Bohnen aus der Dose. Wer die "Heinz"-Bohnen mit Tomatensoße nicht mag, der ist noch nie richtig hungrig gewesen, jedenfalls machen sie uns satt. Unvergesslich wird für uns bleiben, dass wir im weiteren Verlauf unserer Reise häufig auch gut gekleidete Herren mit Aktentasche ganz selbstverständlich an der Straße stehen sahen, die ebenfalls unserer Art der Fortbewegung frönten, für England augenscheinlich ganz normal! Als wir gerade mit dem Reinigen des Alu-Geschirrs fertig waren, sahen wir einen blauen Lieferwagen. Das ist an sich nichts Besonderes, aber ein geschultes Tramperauge sieht sofort, ob in einem Wagen genug Platz zum Mitfahren ist und ob der Fahrer einer dieser Menschen ist, die gerne Gesellschaft haben. So lernten wir David kennen. David jedenfalls freute sich und wir verstauten unsere Rucksäcke auf der Rückbank. 

Sterling

 Wir hatten Glück, denn David wollte über Glasgow fahren und dann weiter nach Sterling, also nach Schottland! David erzählte viel auf den nächsten zweihundert Meilen. Er hatte auch viel zu erzählen, denn er war Vertreter für Damenunterwäsche. Nach etwas mehr als 100 Kilometern erreichten wir Glasgow, wo ich eine große Flasche giftig-roter Brause erstand. Es schmeckte wie Zuckerwasser und David war der Einzige, der auf der Weiterfahrt ihrem Geschmack etwas abgewinnen konnte. Inzwischen hatte sich die Landschaft verändert - die ersten Berge tauchten auf. David lachte verächtlich: Berge? Das sind kleine Hügel. Zwar hatten wir vor dieser Reise jede Menge Reiseberichte und Reiseinfos studiert, doch das hatten wir nicht erwartet, es war mit keiner Reiseinfo vergleichbar.

Avimore

In Stirling angekommen brachte David uns zu einem wunderschön gelegenen Zeltplatz in Stirling, der seinem Freund gehörte. Obwohl es schon recht spät war bekamen wir noch einen Platz bei seinem Freund, der es irgendwie sogar arrangierte, dass wir am nächsten morgen eine Tüte mit frischen Brötchen und zwei Flaschen Milch vor unserem Zelt vorfanden. und das, nachdem David uns schon während der Fahrt großzügig mit Getränken und Snacks versorgt hatte und unsere klischeehaften Vorstellungen von Schotten, wie die meisten seiner Landsleute ebenfalls, gründlich durcheinander geschüttelt hatte!

Natürlich kamen wir an diesem Tag wieder zu spät los und landeten am Abend in Aviemore. Nachdem wir eine leckere Tüte mit Fish and Chips, natürlich mit Vinegar (Essig) zur Stärkung geholt hatten, gingen wir zum Fluss. Wir holten unsere Schlafsäcke heraus und übernachteten dort

River Gary - Road to the Isles  

Da der Fluss in der Nacht die am Tage gespeicherte Wärme wieder abgibt, war es angenehm warm. Natürlich gibt es dort reichlich Mücken, doch wenn man einen Kameraden dabei hat, der die Mücken anzieht, macht das nichts (Gelle, Michi?). Am nächsten Morgen hatte ich keinen Mückenstich, mein Freund Michi dafür alle. Beim Studieren der Karte fiel uns ein kleiner Ort auf. Er lag versteckt in den Midlands und war über eine kilometerlange, schmale Straße zu erreichen.  Auf der anderen Seite befand sich ein Moorgebiet. Dieser Ort schien uns magisch anzuziehen und so verschoben wir Loch Ness auf ein anderes Jahr und trampten ein Stück zurück bis Tummelbridge.

Dort gibt es eine Brücke und die führt in mindestens 50 Metern Höhe über einen Fluss. Ein gigantischer Anblick, da kommt selbst der Ausblick bei Queens View nicht mit. Bis dorthin nämlich hatte uns ein Ehepaar mit Kindern mitgenommen. Die kurze Strecke bis Queens View hin beäugten uns die Kinder, als seinen wir Wesen von einem anderen Stern. Dort angekommen war es zwar recht nett, aber sonst nicht weiter interessant, ausgenommen, man nimmt den steilen Abstieg zum River Tummel in kauf und badet. Wir konnten dem nicht widerstehen und stiegen in die eiskalten Fluten. Michi versuchte ein paar Forellen mit der Hand zu fangen, doch nachdem wir beide blaugefroren waren, änderten wir unseren Speiseplan und stiegen wieder an Land. Wir verließen diese wunderschöne Gegend und setzten erfrischt unsere Reise fort.

 Loch Rannoch

Es waren noch 40 Kilometer bis Kinloch Rannoch und das Tramperglück hatte uns verlassen. Sogar einFahrer mit Reifenpanne, dem wir bei der Montage seines Reservereifen geholfen hatten, ließ uns anschließend frecherweise stehen. Da wir langsam sauer wurden, nutzten wir die Tatsache, dass - zumindest damals und in Schottland - sich die Ortshinweisschilder beweglich an ihren Pfosten befanden für einen kleinen Rachefeldzug gegen die Autofahrer, die uns nicht mitgenommen hatten. Ein Schild zeigte in Richtung Kinloch Rannoch, das andere zu einem kleinem Dorf, dass nur ein oder zwei Meilen entfernt lag

Loch Rannoch

.Pub

Nachdem wir die Position der Schilder vertauscht hatten freuten wir uns diebisch über die ortsunkundigen Fahrer, die nach einigen Minuten genervt wieder aus dem kleinem Dorf kamen in das wir sie geschickt hatten. Aber irgendwann wurde auch dieser Spaß öde und so beschlossen wir nach Kinloch Rannoch - oder zumindest in die Richtung - zu laufen. Unvergessen geblieben sind endlose, kunstvoll aufgeschichtete Steinmauern an denen wir entlang liefen, unsere schweren Rucksäcke, die Hitze und ein Ehepaar, dass wir dann trafen Sie waren so nett, ihr Auto zu holen und uns die letzten Kilometer zu fahren. Das kam uns natürlich wie gerufen, denn einerseits war es recht heiß an diesem Tag, zum anderen hatte jeder ca. 30 Kilogramm Gepäck zu tragen. Jedenfalls habe ich in diesen Tagen gelernt, dass im Rückenbereich keine harten Gegenstände (wie Spirituskocher) verstaut sein sollten. Endlich angekommen, verabschiedeten wir uns von dem freundlichen Ehepaar und gingen erst einmal einkaufen, um die Vorräte aufzufrischen. Dann verließen wir Kinloch Rannoch, einen kleinen, hübschen Ort, mit einer 2 kleinen Läden und 2 Pubs.

Loch Rannoch


Auf unserem weiteren Weg trafen wir einen Mann, der am Straßenrand zeltete. Neben ihm stand eine nagelneue Moto Guzi. Er selbst war vielleicht 60 Jahre alt und lud uns sofort zu einem Tee ein, serviert in alten Konservendosen, in denen er vor wenigen Minuten vielleicht noch seine Regenwürmer aufbewahrt hatte. Michi war der Ansicht, besser den Tee zu trinken, als sich den Zorn des Alten auf uns zu ziehen.. Wir verbrachten einige Zeit bei ihm, dann zog es uns weiter. Wir waren schwer beeindruckt, so würden wir unser Rentenalter auch einmal gestalten. Weiter ging es auf einer kleinen Straße an der Südseite des Loch Rannochs. Wir hielten von nun an keine Autos mehr an, denn erstens war die Strecke fast unbefahren und zweitens galt es, jetzt den idealen Platz für das Zelt zu finden. Das "wilde Zelten" ist in Schottland in der Regel kein Problem. Nur ein einziges Mal bekamen wir in späteren Jahren Besuch von einem Förster. Er beschränkte sich auf den Hinweis, alles so zu hinterlassen, wie wir es vorfanden, aber das versteht sich ja von selbst!

Endlich erreichten wir unseren Zielort kurz hinter Carie und schlugen unser Zelt unter einer wunderschönen, alten Pinie auf, knapp 3 Meter vom Seeufer entfernt. Auf der anderen Seite des Lochs lag Talladh-A-Bheithe (siehe: Schottland mit Kindern),  das ich in ferner Zukunft einmal besuchen würde.

Loch Rannoch

Unser Zelt neben einer Pinie. Erst 30 Jahre später fand  ich diesen Platz wieder. Es wurde ein merkwürdiger Moment.

Loch Rannoch

Das täglich benötigte Wasser konnten wir aus dem Loch Rannoch entnehmen, doch um Vorräte einzukaufen, war jedes Mal eine fast 30 Kilometer lange Strecke zum nächsten Ort und zurück fällig. Es versteht sich von selbst, dass wir dann regelmäßig in einem der Pubs auftauchten und oft sehr spät wieder am Zelt waren. Es wundert mich noch Heute, wie wir es in unserem damaligem Zustand nach dem Kneipenbesuch jedes Mal schafften, alle Vorräte heil zum Zelt zu bringen. Wie schon erwähnt, fuhren hier selten Autos entlang, doch eines Tages, als wir wieder auf dem Heimweg waren, hielt ein Wagen neben uns. Ein Wagenfenster wurde heruntergekurbelt, eine Whiskywolke kam uns entgegen und einer der vier Insassen rief wütend: "Are you english?". Als wir die Frage verneinten, durften wir einsteigen und wurden bis zu unserem Zelt gefahren.  Die folgenden Tage waren ein Traum, durchzogen von dem Gefühl unbegrenzter Freiheit, wie es wohl nur wenige Menschen im Leben erfahren. Die romantischen Abende, die wir vor unserem Lagerfeuer verbrachten, die "baked beans" und gegrillten Würstchen, das Geräusch der springenden Forellen am frühen Morgen, das alles hat uns für ein Leben lang geprägt.

 Loch Rannoch - The House

Trotz des wahrlich langen Heimweges haben wir dennoch den einen oder anderen Abend in einem der beiden Pubs von Kinloch Rannoch verbracht. Dort lernten wir auch den ultimativen Horror kennen, den das announcement "Last Order, please" beinhaltet. Eine der vielen kleinen Anekdoten erinnert uns an einen alten, kleinen Schotten, den wir in "Pub Nr. 2" kennen gelernt hatten. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon einige Tage vor Ort, hatten uns somit bereits etwas an den harten schottischen Dialekt gewöhnt und waren also in der Lage, eine Art minimale Konversation zu führen auf dieser Art von Reisen.

Loch Rannoch - Ep. Church

Das Wetter blieb traumhaft, also beschlossen wir, das Loch Rannoch in Querrichtung ( ca.1 bis 2 Meilen ) zu durchschwimmen. Um dieses nicht zweimal machen zu müssen, liefen wir wieder einmal nach Kinloch Rannoch (ich glaube, die letzten Kilometer wurden wir sogar ´mal von einem Auto mitgenommen ) und dann auf der Nordseite des Lochs in Richtung Westen zurück. Der Plan bestand darin, von dem gegenüberliegenden Ufer direkt zu unserem Zelt zu schwimmen. An der entsprechenden Stelle angekommen bemerkten, wir einen parkenden Austin Kombi, der scheinbar zu einer Großfamilie gehörte. Wie es sich später herausstellte, handelte es sich um die Familie des Bischofs von Perth und einigen Freunden der Kinder. Seine beiden Töchter waren sehr attraktiv und passten auch altersmäßig sehr gut zu uns. Wie üblich kamen wir sofort ins Gespräch und erzählten auch von unserem Plan, das Loch zu durchschwimmen. Der Bischoff, der von allen - also auch von uns - mit Vornamen angesprochen wurde, bot an, uns per Boot zu begleiten. 

 Pookey

Obwohl wir dieses Anliegen sofort empört abgelehnt hatten ("Really not necessary, we are very good swimmers"), bestand er auf seinem Vorhaben. Ursprünglich hatten wir geplant, unsere Klamotten, bis auf die Unterhosen, zu bündeln und zu verschnüren, damit sie uns beim Schwimmen nicht behindern würden. Bedingt durch die Anwesenheit holder Weiblichkeit und weil wir uns der optischen Attraktivität unserer Unterhosen nicht allzu sicher waren sprinteten wir mit voller Montur ins Wasser. Michi hatte u.a. seinen heiß geliebten, ultralangen grauen Wollpullover an, was nach kurzer Zeit zum echten Problem wurde, da das Ding, vollgesogen mit Wasser, anfing wie eine Ankerkette an ihm zu ziehen. Die ersten 200 Meter unseres Überquerungsversuches müssen ungemein beeindruckend gewirkt haben. Da wurde gekrault, Schmetterlingsstil- und olympiaverdächtiges Brustschwimmen praktiziert. Danach allerdings wurden wir deutlich langsamer bis ich mich dann nach höchstens 10 Minuten daran erinnerte, einen Unterschenkelkrampf zu haben. Um ehrlich zu sein, so ganz unrecht war es uns auch nicht als wir deswegen unseren Versuch aufgaben und ins Boot kletterten.

Loch Rannoch - Hillary

Der Bischof fuhr uns mit seinem Boot zu unserem Zelt zurück und lud uns ein, ihn und seine Familie doch einmal in Kinloch Rannoch zu besuchen. Dort wohnte die ganze Familie in einem der Kirche gehörenden Haus, das Kirchenmitarbeiter scheinbar mieten konnten. Dieses Haus befand sich im Zentrum von Kinloch Rannoch ( falls man überhaupt damals von einem Zentrum sprechen konnte ), kurz hinter McKeracher and McNaughton. Alleine schon wegen der beiden bübschen Mädchen liefen wir bereits am Abend nach der großen Peinlichkeit bei der Bischofsfamilie auf, wurden sofort als eine Art Familienmitglieder aufgenommen, gut beköstigt und zur Übernachtung genötigt. Am nächsten Tag wurden wir zu unserem Zelt gefahren um Schlafsäcke, Waschsachen und Wäsche zu holen und wir zogen endgültig bei Bischofs ein. Wie üblich gab es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten zwischen jungen Menschen und wir hatten jede Menge Spaß. Wir spielten Spiele, klönten miteinander, erzählten einander schmutzige Witze, lernten "dirty songs", versuchten beim jeweils anderen Geschlecht die guten schottischen Sicherheitszündhölzer an den Hosenreißverschlüssen anzureißen, bzw. anreißen zu lassen und all das im Haus des Bischofs von Perth! Kurzum, wir hatten eine tolle Zeit, eine der schönsten unseres Lebens.

Leider neigte sich langsam die Zeit für unseren Schottlandtrip ihrem Ende entgegen. Zwischenzeitlich war die Wetterlage umgekippt und es regnete nonstop, was unsere Chancen als Hitchhiker nicht gerade verbesserte. Wer lädt sich schon pitschnasse Tramper plus deren verschmutztes Gepäck ins Auto? Somit brauchten wir für die lächerliche Strecke bis Perth einen vollen Tag, was allerdings zum Teil auch an unserem späten Start lag. Ganz dunkel erinnere ich mich noch an eine kleine Parkbucht, auf der sich eine Telefonzelle befand. Endlich hielt ein Wagen und ein Mann stieg aus um zu telefonieren. Im Wagen warteten seine Beifahrerin und ein Kind. Nachdem der Mann sein Telefonat beendet hatte, sprach ich ihn an und erzählte ihm die traurige Geschichte, dass mein Freund und ich schon seit vielen, vielen Stunden, fast schon seit Tagen warten würden und ganz dringend in einer Familienangelegenheit nach London müssten. Der Mann selbst wollte nicht, aber die anderen Wageninsassen schien die traurige Geschichte berührt zu haben und somit war der Weg frei. Beinahe wäre das Ganze noch schief gegangen, als Michi mit seinem Gepäck angestürmt kam und sich bei dem Mann für das Mitnehmen bedankte und meinte, dass wir schon über eine Stunde dort gestanden hätten... Also ging es  endlich weiter nach Perth. Dort angekommen fanden wir uns, immer noch nass und immer noch bei starkem Regen, in einer Fish and Chips Bude wieder, die aber in kürze schließen wollte, da es schon recht spät war. Der weitere Verlauf der Nacht schien schrecklich für uns zu werden. Doch plötzlich drehte sich ein Typ zu uns um, ungefähr so alt wie wir, der in einer Gruppe von Freunden am Nebentisch saß und stellte die Frage aller Fragen, nämlich "Any idea where to sleep tonight?".  Er hieß Hugh und nachdem wir uns als temporär Obdachlose geoutet hatten, boten er uns, in der Hütte der Leute vom Nebentisch, Will und Dempsey , zu nächtigen (sie nannten ihre Behausung ´Hazienda´ und das nicht zu unrecht!). Sogar unsere Rucksäcke wurden uns auf dem Weg zu unserem neuen Schlafquartier abgenommen.

Kaum dort angekommen wurden uns sofort die Schuhe von den Füßen gerissen und zum schnelleren Trocknen mit Zeitungspapier ausgestopft. Uns wurde unverzüglich ein heißes Vollbad in ihrem großzügigen Badezimmer angeboten und wir waren uns ziemlich sicher, dass wir entweder ausgeraubt oder mindestens vergewaltigt werden sollten, vermutlich aber beides! Nachdem wir heiß gebadet und halbwegs trockene Klamotten angezogen hatten, war das Essen auch fertig und die sich langsam einstellende wohlige Wärme in unseren Körpern wurde durch den Konsum von ein oder zwei Rollen mit Tabak noch unterstützt. Es passte alles! Es wurde geklönt, wir hörten gute Musik und es war alles nur locker und easy. Es war einfach ein perfekter Abend!

Am nächsten Morgen, nach ausgiebigen Ausschlafen, gingen wir zunächst zu dem Lebensmittelgeschäft der Mutter von einem unserer neuen Freunde und ließen uns Aufschnitt geben. Danach ging es zurück zur Hazienda und es wurde erst einmal ausgiebig gefrühstückt. Danach besorgte sich einer unserer Kumpels den Wagen seiner Mutter und wir wurden ca. 50 Meilen Richtung London gefahren. Nach einem herzlichen Abschied standen wir also wieder an der Straße. Es dauerte nicht lange und nach ein paar Stunden hatte London uns wieder.  

Perth

 

Ein Jahr später...

Doch diese Reise war erst der Auftakt. Weitere sollten noch folgen und schon wenige Wochen, nachdem uns der graue Schulalltag mit all seine Widerlichkeiten gefangen hatten, planten wir für den nächsten Trip nach Kinloch Rannoch. Nachdem wir noch einen Abstecher mit Freundinnen nach Mallorca gemacht hatten, war es dann soweit. Diesmal waren 1 Auto und 3 Freundinnen mit von der Partie. Das Auto, einen alten Taunus 12M P4 hatte Michi günstig aufgetrieben. Es strotzte vor Macken, doch der Vater meiner damaligen Freundin besaß eine Tankstelle und schaffte es in wochenlanger Arbeit endlich, die Kiste wieder für lange Strecken tauglich zu machen. Dann endlich war es soweit, wir trafen uns mit Beate, Chrischi und Charlotte, packten in endloser Feinarbeit alle wichtigen und unwichtigen Sachen ein und auf ging es in Richtung Calais. Nach etlichen "Teepausen" kamen wir endlich an und suchten uns ein lauschiges Plätzchen im Freien, holten unsere Schlafsäcke hervor und verbrachten dort die Nacht. Am nächsten Morgen ging es weiter mit dem Luftkissenboot nach Ramsgate. Wir alle hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zuhalten und sie kurze  Überfahrt zu genießen.

Loch Rannoch - Ford Taunus

  

Nach kurzer Fahrtzeit hatten wir das Vergnügen, London mit dem Auto zur Rush-Hour zu besuchen. Es war eine Katastrophe doch wir erreichten irgendwann den Norden und besuchten wieder einmal meine dort lebenden Verwandten. Nachdem wir uns dort gestärkt hatten, ging es weiter über die M1 in Richtung Norden. Als wir den schottischen Grenzwall passierten, war es bereits stockdunkel und ein Blick auf den Rücksitz unseres Wagens verschaffte Michi K. und mir die Gewissheit, dass unsere Damen die Fahrtzeit schlafenderweise genossen. Wir hatten beide reichlich Kaffee und etwas zum aufmuntern genommen, damit weder Fahrer noch Beifahrer einschlafen würden. Dennoch erinnere ich mich genau, dass wir irgendwann mehrere Verkehrshütchen übersahen und sie durch die schottische Landschaft kegelten. Noch heute bewundere ich die fahrerische Meisterleistung Michis, uns trotz Übermüdung bis zum Ziel zu bringen.  

Langenhorn

Loch Rannoch

Ein scheinbares Versehen will mir allerdings nicht aus dem Kopf gehen und das geschah auf den letzten 30 Kilometern vor Kinloch Rannoch. Als Beifahrer hatte ich ständig die Karte vor mir und sagte meinem Freund die Strecke an. Normalerweise gab es auch keine Problem, doch diesmal verguckte ich mich total auf der Karte. Wir landeten mitten in der Nacht in einem kleinen Dorf und über einen Umweg ging es dann weiter in Richtung unseres Ziels. Es muss eine Fügung des Schicksals gewesen sein. Fährt man nämlich die Strecke nach Kinloch Rannoch geradeaus weiter, so gelangt man an eine regelrechte "Haarnadelkurve", die ziemlich steil nach unten geht. Wenn man bedenkt, das unser Wagen recht überladen war (sogar ein Schlauchboot hatten wir auf dem Dachgepäckträger) und wenn man weiterhin bedenkt, dass wir inzwischen völlig übermüdet waren, so bin ich sicher, dass der Umweg uns gerettet hat. Selbst ein so guter Fahrer wie Michi hätte die Kurve in der Dunkelheit in solcher Situation wohl nicht mehr geschafft.

Die Kurve

So gelangen wir endlich an unser Ziel, suchten uns die nächste beste Stelle und bauten unsere Zelte auf. Gleich am nächsten Tag hieß es abbauen und eine bessere Stelle suchen. Wer nun aber gedacht hätte, wir könnten uns nun gemütlich zurücklehnen, der hat sich getäuscht. Immer wieder mussten wir beide nun Feuer machen um heißes Wasser für Tee zu kochen. Leider tranken die mitgereisten Mädchen sehr oft Tee.

Wenn man nach Schottland fährt, sollte man schon aufpassen, wen man mitnimmt! Auch dieses Mal lockte uns der Loch Rannoch und so beschlossen Michi und ich, das Loch per Schlauchboot zu erkunden. Wir steigen bei bestem Wetter ins Schlauchboot, fuhren Richtung Rannoch Moor und genossen die Stille, die uns umgab. Langsam glitt das Boot über den See und wir paddelten immer weiter bis hin zu einer kleinen Insel. Auf dieser Insel befand sich eine Ruine, die von weitem abenteuerlich aussah und uns magisch anzog. Wir hielten darauf zu und landeten schließlich auf einer steinigen kleinen Insel und begutachteten die Ruine. Ein paar Mauerreste, vermodertes Holz und Unmengen von Mücken waren nicht das was wir suchten. Angeblich sollte Rob Roy hier gefangen gehalten worden sein. Als wir zudem noch sahen, dass das Wetter sich schlagartig verschlechterte, stiegen wir wieder ins Boot.

Loch Rannoch

Loch Rannoch - Möveninsel

Nach kurzer Zeit hatten wir ein echtes Problem: ein heftiger Wind war aufgekommen und die Wellen wurden höher. Wind und Regen kamen zudem von vorne und das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger. Von Minute zu Minute schlugen die Wellen immer höher und wir überlegten schon, ob wir nicht versuchen sollten, an Land zu rudern und zu Fuß zum Zelt weiterzulaufen. Ob wir es nicht mehr an Land schafften oder ob unser Stolz es nicht zuließ, mit dem Schlauchboot im Schlepptau irgendwann zu Fuß bei den Mädchen wieder anzukommen, ist mir entfallen.

Jedenfalls schienen wir kaum von der Stelle zu kommen und beschlossen, dass jeder solange mit voller Kraft ruderte, bis er fast zusammenbrach, dann wechselten wir und so ging es Stück für Stück weiter in Richtung der Zelte. Wie viele Stunden wir schon gerudert waren als die Umgebung uns wieder vertrauter erschien, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber noch genau daran, dass wir beide nun noch einmal die letzte Kräfte mobilisierten in der Vorfreude , dass unsere Freundinnen sorgenvoll auf uns warteten und bestimmt schon Ausschau nach uns hielten. Wir malten uns schon ihre Wiedersehensfreude aus, als die Zelte in Sicht kamen. Doch schon von weitem war niemand sehen! Waren sie vielleicht nach Kinloch Rannoch gegangen, um eine Suchaktion einleiten zu lassen? Wie groß war meine/unsere Enttäuschung, als wir sie alle schlafend in den Zelten vorfanden! Wie gesagt, man sollte wirklich nicht jeden mit auf solch eine Reise nehmen.

Von den drei Mädchen habe ich nie wieder gehört, aber meinen Freund Michael K. habe ich in den Weiten des Internets nach über 25 Jahren ausfindig gemacht und noch ein paar Male wiedergetroffen. Mit meiner jetzigen Frau habe ich später noch wunderbare Reisen nach Schottland gemacht und als irgendwann die Kinder größer wurden, fuhren wir alle zusammen los. Aber das ist eine andere Geschichte... und viele werden noch folgen.

 

Bis bald, Kinloch Rannoch!

 

 

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